Ihr Auftrag: Menschen schützen, Schöpfung schonen

Praktische Nächstenliebe ist ihre Mission: Brigitte Zietlow ist in Schwellenländern unterwegs, um die Lebens- und Arbeitsumstände der Menschen dort zu verbessern. Unterstützen kann sie jeder – beim Einkaufen.

Sie brennt für ihren Beruf: Brigitte Zietlow will etwas verändern. Nicht irgendwo, sondern dort, wo Textilien und Schuhe für Europa produziert werden. Ein wachsender Anteil der Produktion findet in Schwellenländern statt. In Indien, wo Leder unter beinahe unbeschreiblichen Umständen gegerbt wird, wo die Flüsse mal pink und mal blau schimmern – je nach benutzten Chemikalien und Modefarbe der Saison.

„Das hat Gott so gefügt“

In eine neuapostolische Familie hineingeboren steht Brigitte in der DDR am Rande der Gesellschaft. Sie geht nicht in die „Jungen Pioniere“, nicht in die Jugendorganisation FDJ. Trotz sehr guter Noten wird ihre Bewerbung zur Chemielaborantin abgelehnt. Doch dann übernimmt eine junge Lehrerin ihre Klasse. Sie sieht eine junge Frau, die gefördert werden muss. „Gitti, du musst Abitur machen“, sagt sie.

Doch in Berlin wird sie später nicht zum Studium zugelassen. Einen Studienplatz gibt es nur in Chemnitz, frei ist ein Platz in der Ledertechnik. Die Mauer fällt, Brigitte beendet das Studium, hält sich mit Jobs über Wasser. Doch dann ist da die Ausschreibung des Umweltbundesamtes.

Das Amt sucht eine Expertin für Leder- und Textilindustrie. Brigitte Zietlow ist die einzige externe Bewerberin und bekommt den Job in Dessau. „Die haben mich genommen, obwohl mir das gesamte Insiderwissen fehlte“, staunt sie noch heute. Und sie ist überzeugt: „Das hat Gott so gefügt.“

Nach zwei Beinahe-Unfällen sucht die Pendlerin in Dessau eine Wohnung. Zwei oder drei Nächte die Woche bleibt sie dort, telefoniert viel mit ihrem Mann und den Töchtern. „Vielleicht haben wir dadurch manchmal mehr geredet als zu Hause“, schmunzelt sie.

Als Vermittlerin im Einsatz

Als Mitarbeiterin des Umweltbundesamtes hat sie „sich auf den Weg gemacht“. Inzwischen ist sie drei bis vier Mal im Jahr für ein bis drei Wochen in Indien und versucht, die Betroffenen ins Boot zu holen: die Behörden, Textilhersteller, die Menschen, die dort leben.

In Indien gibt es durchaus anspruchsvolle Umweltstandards, erzählt sie mir. Aber die flächendeckende Umsetzung und vor allem die Überwachung der Grenzwerte sei schwierig. Es helfe eben nicht, wenn Messgeräte manipuliert werden oder wenn nur die Über- oder Unterschreitungen festgestellt werden, aber nichts geändert wird. Und so kommt verschmutztes Wasser auf die Felder und gelangt in den Nahrungskreislauf.

Deshalb gehe es darum, eine Akzeptanz für die Anwendung der Standards zu schaffen, zu überzeugen. Das Bewusstsein für umweltgefährdende Stoffe wachse zwar langsam, aber gerade die strenge Hierarchie und das Kastenwesen führe dazu, dass Veränderungen oft nur mühsam durchgesetzt werden könnten. „Es gibt unbeschreiblich viele Produktionsbetriebe, aber nur wenig Personal in den Behörden.“

Massenkonsum produziert Wegwerfware

„Einen Informationsaustausch unter allen Beteiligten gibt es bisher nicht.“ Ihre Rolle als Vermittlerin sei da nicht einfach: Nur im Einzelfall gebe es in Indien starke Frauen in Führungspositionen. „Da musst du durch Fachwissen und Auftreten punkten“, erklärt sie. „Und einiges abkönnen“, fügt sie hinzu.

Und dann erzählt sie mir von Regionen, in denen die Gerbereiabfälle offen lagern. „Die Arbeiter stehen barfuß in der giftigen Brühe oder fassen mit bloßen Händen in die Fässer mit Chemikalien. Kinder spielen auf den Abfallhalden.“ Manche Menschen würden zwischen den Fässern mit Chemikalien leben. Sie erzählt mir von Textilfabriken, in denen es unsagbar heiß ist. „Heißer als draußen – und da haben wir schon bis zu 50 Grad Celsius erlebt.“

Ob ihre beruflichen Erlebnisse sie in ihren eigenen Kaufentscheidungen beeinflussen? „Ich kaufe natürlich noch Klamotten“, sagt Brigitte Zietlow und schmunzelt: „... und nicht nur bio und öko.“ Aber das Bewusstsein verändere sich.

Das Problem sei der Massenkonsum. Die Ware werde zum Wegwerfartikel. Die niedrigen Preise suggerieren, dass die Kleidung nahezu wertlos sei. „Was nicht passt, wird nicht zurückgegeben. Das wird eben weggeworfen.“ Und damit die Arbeit derer vernichtet, die unter Gefährdung der eigenen Gesundheit produzieren. Bis zu 40 Prozent der Kleidung werde nach dem Kauf gar nicht erst getragen. „Ich wünsche mir, dass viel mehr Leute das nicht nur wissen, sondern Empathie für die Leute dort aufbringen.“

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Jens Lange, Andreas Rother
26.02.2019
Indien, Soziales Engagement, International