Seelsorge (12): Zwischen „geht“ und „geht nicht“

Von „Ich brauche keinen Besuch“ bis „Kommt doch öfter“ – der traditionelle Familienbesuch von Seelsorgern wird immer noch geschätzt. Allerdings braucht es sowohl kreative Wege für gemeinsame Termine als auch eine Rückbesinnung auf alte Werte.

Das traditionelle Format hat seit vielen Jahren Gültigkeit und sieht etwa so aus: Der Seelsorger fragt Gemeindemitglieder – eine Familie oder Schwester/Bruder –, ob er sie zu einem bestimmten Zeitpunkt besuchen dürfe. Am vereinbarten Termin stehen zwei Seelsorger vor der Tür und werden hereingebeten. Früher nannte sich das Familienbesuch, heute heißt das Seelsorgebesuch. Dieses Muster ist nach wie vor gültig, allerdings verschieben sich äußere Rahmenbedingungen.

Manche wünschen sich eher einen „Seelsorgebesuch to go“ – also nicht statisch im eigenen Wohnzimmer, sondern vielleicht telefonisch oder per WhatsApp oder nach einem Gottesdienst. Andere denken eher an einen „Seelsorgebesuch nach Bedarf“: Liegt kein konkreter Notfall vor, braucht es keine Gespräche. Der traditionelle Seelsorgebesuch ist – freundlich gesagt – nicht ganz ohne Widerspruch. Er steht zwar noch im Kurs, doch ist zunehmend Kreativität gefragt. Und auch die Vertrauensfrage muss neu gestellt werden.

Seelsorgebesuch – ein Auslaufmodell?

Ganz sicher nicht, im Gegenteil! Der Besuch der Amtsträger braucht eher eine neue Wertschätzung. Ein neuer Anlauf für diese Form der individuellen Seelsorge täte gut, ohne die gut motivierten Wünsche der Glaubensgeschwister zu überhören. Denn die gelebte Wirklichkeit spricht eine andere Sprache.

Man möchte eher individuelle Wege gehen, Glaube ist Privatsache, abendliche Termine gibt es zuhauf, das Freischaufeln von Zeit für Glaubensgespräche steht auf der Prioritätenliste nicht gerade oben, ein kurzer Gesprächskontakt reicht vielen. Seelsorgebesuche in der eigenen Wohnung dagegen verursachen einen gewissen Aufwand.

Alle diese Argumente sind nur Ausschnitte aus einem bunten Kaleidoskop von Gründen, warum der traditionelle Seelsorgebesuch nicht immer gelingt.

Der Seelsorgebesuch als Tankstelle

Dagegen steht die Auffassung der Kirche, dass der Seelsorge im kirchlichen Vollzug eine hohe Bedeutung zukommt. Kirche ohne Seelsorge ist wie eine Haut ohne Pflege. Natürlich geschieht sie auch durch die Predigt, durch sakramentales Handeln, durch Segenshandlungen, aber besonders individuell eben durch persönliche Gespräche. Die Betonung liegt auf individuell: Das individuelle Seelsorgegespräch ist wesentliches Merkmal von Kirche.

Wer so denkt, verbindet mit dem Seelsorgebesuch seiner Amtsträger wünschenswerte Konsequenzen: neue Erkenntnisse, neue Klarheit in Glaubensfragen, Frieden und Entlastung durch das Ansprechen von Schulderlebnissen und vieles mehr. Das macht den Seelsorgebesuch zu einer wertvollen Etappe auf dem Glaubensweg. Außerdem tut der stilvolle, persönliche Austausch über Glaubensangelegenheiten der eigenen Anschauung gut. Wo sonst sprechen Menschen über Gott und die Welt, über die Bibel und die Lehren, die jeder daraus ziehen darf? Gesprächskreise oder Bibelabende gibt es nicht in allen Gemeinden.

Vertrauen gegen Vertrauen

Natürlich passen nicht alle Rahmenbedingungen überall und zu jedem Zeitpunkt reibungsfrei aufeinander. Es wäre unrealistisch, so zu denken. Amtsträger und Gemeindemitglieder müssen in ihren Lebensanschauungen nicht übereinstimmen, sie müssen sich nicht per se vertrauen. Vertrauen gegen Vertrauen will verdient sein!

Die Wertschätzung von Amtsträgern als kirchliche Würdenträger fällt nicht vom Himmel. Nicht immer stimmt die „Chemie“. Das ist keine neue Erkenntnis; sie lässt sich zu allen Zeiten beobachten, doch scheint sich das Problem zu verschärfen. Es braucht die Bereitschaft, das Verbindende und Gemeinsame in den Fokus zu stellen. Eigentlich ist die Andersartigkeit des Nächsten bereichernd und nicht störend. Wenn der Nächste immer ein Fremder bleibt, betont man nur die Unterschiede.

Das Ergebnis ist eine scheinbar nicht zu überbrückende Distanz untereinander oder sogar die Ablehnung des Gesprächspartners. Trendforscher und Psychologen warnen vor einer zunehmenden Beziehungsunfähigkeit der Menschen in der modernen Gesellschaft. Vertrauen dagegen braucht eine dauerhafte Komponente des Wohlwollens. Dann bleiben auch die Beziehungen zwischen Gemeinde und Amtsträgern belastbar. Dann bekommt der Seelsorgebesuch einen freundlichen, gewinnenden Glanz, dann wird er nicht als notwendige Pflicht zum Abhaken eines überholten Amtsträgerprofils gewertet, dann sind Seelsorgegespräche ein echter Gewinn für alle Seiten.

Im nächsten Teil unserer Serie über die Seelsorge beschäftigen wir uns noch einmal mit dem Seelsorgebesuch und fragen nach den Möglichkeiten, die er für alle Beteiligten bietet. Vorausgesetzt, er läuft nach gewissen Spielregeln ab.


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Peter Johanning
25.05.2021
Gemeindeleben